la kritze

Samstag, 28. Februar 2015

Der Wartende/andernorts

 
Um sechs, hatte sie gesagt, würde sie kommen, er möge draußen warten vor dem kleinen Café, in das er sie einst führte vor Jahren. Nun stand es zum Abriss bereit. Jemand hatte die Scheiben eingeschlagen, das ließ ins Innere blicken, darin war es dunkel und abgestanden. Schemen umgeworfener Möbelstücke erkannte er und sich selbst im Spiegel an der Wand gegenüber, dort, wo einst die Theke stand. Wie jemand, der sich fremd geworden war, winkte der Schatten zu ihm herüber. Er ließ die Hand wieder sinken und nahm eine Zigarette heraus, doch er verspürte keine Lust zu rauchen, so steckte er sie wieder ein und blickte auf die Uhr an seinem Handy.
Es war nach sechs, sie hatte sich verspätete, das war nicht unüblich an ihr.
Er nahm Platz auf der Treppenstufe vor dem Eingang und blickte zum Schild, an dem die Farbe verblasst war, blickte an der Fassade entlang und zum Himmel hinauf.
Ein grau in grau kündete Regen an.
Wo bleibst du, schrieb er und schickte die Nachricht nicht ab.
Die Straße war leer, kaum ein Mensch ging vorüber. Die Wenigen streiften ihn mit einem unbeteiligten Blick.
Da war es halb sieben, er spielte mit Steinen, die er zwischen die Finger nahm und wieder von sich warf, als ihn ihre Nachricht erreichte: Es tut mir leid. Ich bin bald da.
In Ordnung, schrieb er und ließ es dabei bewenden. Die abendliche Luft war träge und schwer. Die ersten Lichter erglommen in den Fenstern der Häuser und langsam, beinah zärtlich, setzte der Regen ein.
Da war es nach sieben und ihm doch nach einer Zigarette. Er holte die Schachtel wieder hervor. Die Flamme des Streichholzes glomm auf und erzitterte leicht.
„Solange es brennt, werden wir uns küssen“, hatte sie damals zu ihm gesagt. Und als diese erlosch, ihre Hand in seinen Schoß getan.
Jahrzehnte waren seither vergangen, und alles, was war, war danach nimmer mehr.
Da war es bald acht, er hing in Gedanken, als die erste Laterne ihr Licht auf ihn warf. Und von ihr keine Spur. Er wollte nicht fragen und steckte das Handy wieder ein. Der Stumpf der Zigarette lag vor seinen Füßen, krumm und nass vom Regen. Der hatte ihn aufgeweicht.

Nein, ein grauer Himmel bedeutet keinen Weltuntergang, dachte er.
Einst liefen sie die leere Straße entlang und hielten einander bei der Hand. Da gestand sie ihm, dass sie traurig war, bloß nicht wüsste, warum. Seine Bemühungen, sie aufzuheitern, waren vergebens geblieben.
„Komm“, hatte er dann gesagt, „dort gibt es ein Café, lass uns hinein gehen.“
Der Regen hatte eingesetzt und sie brachte keine Einwände vor.
Er bestellte für sie eine heiße Schokolade, die sie unangetastet ließ. Er selbst wählte Tee und wärmte sich an der Tasse, blickte sie an und wusste nichts zu sagen, das von Bedeutung war. Sie war schön im matten Schein der Innenbeleuchtung. Das Haar klebte ihr in feuchten Strähnen an den Wangen und ihre Unterlippe zitterte leicht. Das Schweigen machte ihn mürbe, doch er versuchte zu lächeln und kramte Geschichten vergangener Tage hervor. Er sprach von seiner Kindheit, von Narben und Missverständnissen, vermeintlichen Erinnerungen, er lachte und log. Er wusste es nicht besser. Sein Tee wurde kalt.
„Verzeih“, sagte sie, sie sei gerade woanders, dort sei es nicht schön und sie bald wieder zurück.
Er sagte, das mache ihm nichts, das sei schon in Ordnung, hielt inne und nahm dabei ihre Hand.
Er konnte warten.

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